Felix Schonauer: „zur Frage, was das NGL in meinem Leben und für mein Leben ist…“

… finde ich die Antwort: Ein ständiger, liebgewordener, wegweisender, angezweifelter Begleiter. Und dies von Anfang an: Im Jahre 1961 in Sterkrade (Oberhausen) geboren, als der Kohlenpott noch ein Kohlenpott und nicht das Ruhrgebiet war. In eine Familie, deren nächste und nähere Verwandte sich in einem Chor kennen- und lieben lernten, der weltliche und religiöse Lieder auch, aber nicht nur, in der Kirche sang und dessen Mitglieder und auch der Leiter (mein Vater) musikalische Laien waren und die sich als Singkreis (und nicht als Kirchenchor) verstanden.

Das waren Menschen, die aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem Singen und mit der Kirche in der NS – Zeit sehnsüchtig neue Formen der Liturgie und der Liedkultur erwarteten und suchten. Und so wurden viele Familienmitglieder gegen jede Tradition (nebenberufliche) Kirchenmusiker und Chorleiter, und sie schleppten uns Kinder auf jedes Konzert mit, von dem sie sich Anregungen versprachen. Ich erinnere mich noch gut an Konzerte mit Pere Cocagnac und die ersten Janssens – Konzerte, zu denen wir pilgerten. Auch an Reisen zu OGO Blarr und Wilhelm Willms kann ich mich erinnern.

Schon im Jahre 1968, die Pfälzer Kindermesse war gerade erschienen, beschloss meine Familie, spezielle Kindergottesdienste zu gestalten. Dazu wurde eine ‚Band‘ gegründet, in der alle Erwachsenen (außer meiner Mutter, das fand sie zu aufregend!) mitspielten. Ich wurde als Vorsänger eingesetzt, später auch meine beiden Schwestern. Da der Kirchenraum für diese ersten Neuen Geistlichen Lieder von unserem damaligen Pastor als zu ‚heilig‘ angesehen wurde, zogen wir mit dem Kaplan in das neben der Kirche gelegene Jugendheim um. Ob der gewaltigen Resonanz musste der Gottesdienst bald auf die Straße davor mit Lautsprechern übertragen werden. Das erzeugte soviel öffentliches Aufsehen, dass uns der Pastor bald erlaubte, die Gottesdienste wieder in die Pfarrkirche zu verlegen. Mein erstes und bis heute wichtigstes Instrument wurde also schon sehr früh die eigene Stimme. Mit einem Knabensopran über drei Oktaven sang ich auch Oberstimmen bei klassischen Aufführungen der Kirchenchöre, die mein Vater inzwischen leitete. Es gab keine Möglichkeit einer Ausbildung, sonst wäre ich heute Sänger und hätte keinen Bezug mehr zum NGL. So blieb ich Autodidakt, bis der Stimmbruch diese ‚Karriere‘ zeitweise beendete.

1977 gründete ich mit meiner Tante Gitta Jäger und allen jugendlichen Familienmitgliedern sowie einigen KlassenkameradInnen die Band KANAAN. Mit KANAAN gestalteten wir über 10 Jahre Jugend- und Familienmessen rund um Sterkrade. Zu dieser Zeit fing ich auch an, eigene Lieder zu texten und zu vertonen, über deren Qualität ich an dieser Stelle aber lieber schweige. Immerhin eine sehr gute Übung.

Anfang der 80er Jahre veranstaltete das Bistum Essen einige Weiterbildungsveranstaltungen zum NGL mit dem Kantor Winfried Offele. Mit ihm gründeten wir bald den Dekanatsjugendchor Essen in Haus Altfried. Ich hatte die Band zu betreuen und Winfried den Chor und die Gesamtleitung. Von ihm lernte ich das Handwerk, insbesondere, Chorsätze zu schreiben. Mit dem Jugendchor spielten wir über viele Jahre wichtige Gottesdienste im Bistum Essen, so z. Bsp. den Gottesdienst mit dem Papst auf Schalke, bis ich 1983 zum Studium nach Köln zog.

1985 übernahm ich von Thomas Quast, der sich auf seine Gruppe
ruhama konzentrieren wollte, die Bandleitung von EZECHIEL, der Gruppe von Hans Florenz in Köln. Dieser war in den 80er Jahren zusammen mit Hans Jörg Böckeler und den Textern Klaus Lüchtefeld und Raymund Weber stilbestimmend für das NGL (zumindest im Rheinland).

Nach einigen Jahren trennte sich die Band vom Chor EZECHIEL, nachdem sie schon einige Zeit unter dem Namen BARNASHA (aramäisch: Menschensohn) solo aufgetreten war. Nach dem Vorbild von Pit Janssens Gesangsorchester spielten wir einige hundert Veranstaltungen. BARNASHA ist heute noch mein „Markennahme“.

Inzwischen hatte ich begonnen, Musik und Religion auf Lehramt zu studieren. An der evangelischen Gemeinde bei der Uni gründeten wir den Chor der Matthäuskirche, der aus StudentInnen und jungen Familien bestand. Die Kinder sangen damals aber noch nicht mit.

Vor sechs Jahren gab ich diesen Chor auf, da ich inzwischen in Hennef Lehrer an einer Hauptschule geworden war. Dafür gründeten wir in Nümbrecht im Oberbergischen einen Familienchor, bei dem Eltern mit ihren Kindern (heute schon: Jugendlichen) singen konnten. Nachdem sich BARNASHA aus beruflichen Gründen in ganz Deutschland verteilt hat, ist der Familienchor AMHA+ADON (aramäisch: Familien des Herrn) heute meine ganze Liebe, auch wenn ich zwischendurch mal als Gesangslehrer bei RUHAMA und als Gast bei ENTZÜCKLIKA (Alexander Bayer!) aushelfe.

Seit Mitte der 80er Jahre nahm ich als Teilnehmer an vielen Veranstaltungen des Kölner AK SINGLESt teil und lernte so viele bekannte und wichtige Vertreter des NGL kennen. Nach einiger Zeit wurde ich eingeladen, beim AK mitzuarbeiten, bei der Kursarbeit und auch bei den Katholikentagen, bei denen der AK früher immer einen großen Stand und eigenes Programm hatte. Dies war der Anfang meiner Tätigkeit als Referent im NGL. In dieser Funktion bin ich, als Gesangslehrer, Chorleiter, Technikberater, Musikal-Erfinder etc. seitdem durch ganz Deutschland gereist.

In den letzten Jahren sogar als Fachmann für (religiösen) Hip Hop!: Zum Katholikentag in Mainz führte der AK SINGLES ein Konzert auf: „30 Jahre NGL“. Das Jahr 2000 war damals in aller Munde, (Zeitenwende, Zukunft und so…) und wir überlegten, wie das NGL im Jahre 2000 wohl klingen würde. Da schreib ich den ersten NGL – Hip Hop, ‚Dear Jesus‘ (in: Die Zeit färben, Strube Verlag), der seitdem einige Nachfolger gefunden hat und mich unversehens zum ‚Hip Hop – Experten machte!?‘

Dies sagt viel über das NGL im allgemeinen aus: Es übernimmt Sprache und musikalische Form der Gegenwart, um das religiöse Empfinden der Menschen heute angemessen auszudrücken. Das geschieht experimentell, mit dem Risiko des Scheiterns und sprachlicher wie musikalischer Missgriffe, aber authentisch und emotional, zwei Begriffe, die auf das traditionelle Liedgut der Kirchen heute für mich meist nicht zutreffen. Die Texter des NGL haben es immer wieder geschafft, geniale Beschreibungen und Ausformungen des religiösen Lebensgefühls heutiger Menschen, unabhängig von Alter und Konfession zu liefern und neue Glaubensspuren zu legen. Von den drei Buchstaben ‚NGL‘ war mir der Erste immer der wichtigste: Die Sprache und auch die Musik müssen neu sein, überraschend, Augen/Seele öffnend, im Ohr prickeln, frech sein, politisch vielleicht, nicht angepasst (Es gibt auch 30 Jahre alte NGL, auf die das zutrifft: „Das könnte den Herren der Welt ja so passen, wenn erst nach dem Tode Gerechtigkeit käme …!)“. In den letzten 20 Jahren schrieb ich über hundert NGL und Bearbeitungen, von denen nur wenige den Sprung in die einschlägigen Liedsammlungen schafften. Das mag auch daran liegen, das NGL möglichst ‚liturgiefähig‘ sein sollen. Die wirklich guten religiösen Lieder sind dies oft nur eingeschränkt. An dieser Stelle seien die Lieder von Alexander Bayer wärmstens empfohlen, auf die alle oben beschriebenen Attribute passen, die er selbst aber eher als ‚Spirituelle Lieder‘ oder ‚Religiöse Chansons‘ (und nicht als NGL) bezeichnet.

Da ich gerne experimentiere und meine NGL nicht mehrheitsfähig zu sein schienen, verlegte ich mich in den letzten Jahren aufs Kinderlieder schreiben (‚Das Hatzi-Schnatzi-Schnupfentier‘, im Selbstverlag), und auf die handwerkliche Arbeit, Chorarrangements zu setzen (‚Aus meiner Werkstatt‘, 70 Bearbeitungen für Chor, im Selbstverlag). Mit meiner Frau Rita und Freunden zusammen spielen wir die Kinderlieder gelegentlich öffentlich.

Ich bin also wohl eher ein NGL – Kenner als ein NGL – Schreiber. Ich bin seit Jahren Gast der Bundesfachtagung NGL und sammle und beobachte. Einmal im Jahr schreibe ich ein NGL (man muss in Übung bleiben) und suche und verbreite gute NGL anderer Autoren, speziell die von Alexander Bayer. Und, um zum Anfangsgedanken zurückzukommen, ich bilde Laien aus, NGL zu schreiben und aufzuführen. Ich habe nichts gegen Kirchenmusiker (das muss an dieser Stelle mal gesagt werden!), aber diese haben oft die Eigenschaft, das NGL zu domestizieren und zu kanonisieren. Groß geworden ist es aber vor allem durch engagierte Autodidakten, die neue Ideen und musikalische Formen mitbrachten.

Ich bin brennend interessiert an den Fragen:

  • Wie geht es weiter mit dem NGL, hat es eine Zukunft?
  • Wie könnte ein N-GL in Zukunft aussehen?
  • Das NGL war einmal das Lied der kirchlich sozialisierten Jugend. Wie können sich Jugendliche heute in Kirche selbst einbringen und ausdrücken?
  • Wieviel Jugend(-lichkeit) braucht/ verträgt Kirche heute?

Mit Menschen aus meinem Chor AMHA+ADON entwickelte ich vor zwei Jahren eine Liturgie, die alle Altersstufen ansprechen, nicht von einem geweihten Priester (sehr selten gewordene Spezies bei uns!) abhängig und für alle Anwesenden handlungsorientiert sein sollte, die „Abendgesänge“. Grundlage war das Buch ‚Nachtwandler‘ (im Schwabenverlag). Kennzeichnend ist der Verzicht auf Exegese (selber denken!) und Ritualgebete (Vater unser), der Einsatz von Symbolen, die als Geschenk mitgenommen werden und viele NGL. Die Abendgesänge haben bisher über 20 mal stattgefunden. Die besten Abendgesänge sollen bald als Buch herausgegeben werden.