Magazinarchiv: 2007

Wenn Gott dich Gutes spüren lässt…

Titelthema


Gedanken zu einer menschenfreundlichen Liturgie.

Menschenfreundliche Liturgie,- das ist mir als aktiver katholischer Christ, als Priester, als Ordensmann, als Musiker und Komponist Neuer Geistlicher Lieder ein sehr großes Anliegen.
Wir haben bei unseren Begegnungen und nach Gottesdiensten immer wieder darüber gesprochen…, und dann fragt Alexander Bayer: Schreibst du mal etwas darüber! … Und jetzt sitze ich am Schreibtisch und lasse die Gedanken ziehen. Vieles, was mir in den Sinn kommt, scheint mir wertvoll und notwendig, ja lebenswichtig für eine lebendige Liturgie zu sein, doch dann melden sich Korrekturen und offizielle Anweisungen zu Wort. Ich muss gestehen, dass ich mich in einer Zwickmühle und so ein bißchen zwischen den Stühlen befinde. Nun will ich aber nicht kneifen und von meinen Gedanken erzählen.

ICH BIN IM SAARLAND in einem gut katholischen Elternhaus groß geworden. Ich wuchs in eine stabile Glaubenswelt hinein, die zwar bodenständig, aber in keiner Weise kleinlich oder verknöchert war. Dafür bin ich dankbar. Erfahrungen mit Liturgie konnte ich dann als Ministrant aus der Nähe sammeln. Feierliche Gottesdienste mit Orgel, Kirchenchor, Musikverein, Weihrauch und einer festlich geschmückten Kirche sind mir bis heute in bester Erinnerung.
Gänsehaut und feuchte Augen sind mir bis heute vertraut: wo man zu Hause ist, da fühlt man tief!

Und genau das ist der springende Punkt! Ich habe über die Jahre erfahren und gelernt, dass die heilige Festlichkeit einer Liturgie das Herz und die Sinne anrühren kann. Was ich dazu aber brauche: ich muss mitkommen können; mein Leben und auch der Stil meines Lebens müssen Raum haben. Und das durfte ich dann bei vielen heiligen Messen im Gymnasium-Internat ‚Johanneum‘ in Homburg/Saar und in der dazu gehörigen Pfadfindergruppe der DPSG erleben.
Da ging die Festlichkeit nicht zu Bruch, aber es wurden andere Akzente gesetzt. Mit der Sprache und den Gesten konnte ich noch mehr anfangen.

Nichts wirkte aufgesetzt; es schien eher aus unserem Alltag oder der jeweiligen Lebenssituation erwachsen zu sein. Das war auch die Zeit, wo ich mit Neuen Geistlichen Liedern in Kontakt kam. Nicht mehr lange, und ich durfte selbst mit spielen in der Pfadfinderband. Seit dieser Zeit lassen sie mich nicht mehr los, die NGL, die Neuen Geistliche Lieder. Es hat mich immer geärgert, wenn ich eine ‚gelesene‘ Messe miterleben musste. Mit der Zeit bekam ich auch ein Gespür dafür, was bei der ein oder anderen Ansprache, dem ein oder anderen Auftreten wohl fehlte: das Herz, die eigene Position oder Betroffenheit, oder neu-deutsch: die Authentizität. Insgesamt
war da jedes Wort korrekt den liturgischen Büchern entnommen, aber von lebendiger Liturgie war nichts zu spüren.

HEUTE, NACH STUDIUM und über 15 Jahren priesterlichem Dienst weiß ich um den Wert ‚an sich‘ einer Heiligen Messe. Aber hier befinde ich mich schon an einer sehr großen ‚Zwickmühlen-Station‘: auf der einen Seite sehnen sich die Menschen, die sich nach einer menschenfreundlichen und unkomplizierten Liturgie sehen; auf der anderen Seite sehe ich Anordnungen, Gebote und Verbote, die eine Lebendigkeit verhindern und abbremsen. Ich erlebe angehende Kleriker und Priester, die größten Wert auf eine Liturgie legen, die in rechter Weise gefeiert wird.

Dagegen ist nichts einzuwenden. Nur verhindert eine rubrikentreue Kleinlichkeit oft, dass das Leben wirklich Einzug hält in die Welt der Liturgie. Unsere Gottesdienste bestehen nicht aus einer Reihung von festgelegten Texten und Riten, die magisch kraftvoll einen Kontakt zu Gott zur Folge haben, sondern sie wollen gefüllt werden mit Herz und Verstand und Geschick und einem Gespür für die Menschen, die sich hier begegnen. Gott ist in seinem auferstandenen Sohn Jesus Christus unter uns und mit uns auf dem Weg. Ich bin überzeugt davon, dass er sich seine Menschenfreundlichkeit nicht nehmen lassen wird. Aber ich entdecke ‚Brems-Tendenzen‘ in unserer Welt des Glaubens, die sowieso nicht boomt, obwohl einschlägige Meinungsforschungsinstitute ein religiöses Interesse in unserer Gesellschaft diagnostizieren.

DAMIT MICH NIEMAND falsch versteht: ich schätze und achte die über Jahrhunderte gewachsenen Traditionen in unserer Kirche, aber es ärgert mich, wenn ‚das Gesetz‘ über ‚dem Menschen‘ steht, zumal man aus einigen Bistümern hört, dass Bischöfe aktive Katholiken zu einem ‚Späher-Dienst‘ ermuntern, um möglichst rasch über vermeintliche Mißstände im Bereich der Liturgie informiert zu werden.
Da kann es dann zu ‚Unfreundlichkeiten‘ kommen.
Menschenfreundliche Liturgie?

Lebendigkeit ist ein erster Schritt

DAS LEBENSGEFÜHL der jeweiligen Gemeinde muss unbedingt mit hinein genommen und übersetzt werden in die gefeierten Gottesdienste. Lebendigkeit ist ein erster Schritt. Lebendigkeit meint in diesem Zusammenhang nicht Action, Spaß und Sensation – ich werde da nicht einer Spaß- und Comedygesellschaft ins Horn blasen, die massenhaft schnell, aber schleichend unbemerkt verkrampft, emotional verhungert und verblödet! Lebendigkeit heißt hier:
vom Leben her bewegt und erfasst. Alle Trauer und Angst, alle Freude und Fröhlichkeit, alle Betroffenheit und Sorge sollen im Beten, Singen und Musizieren, im Loben und Danken, in der Klage und im Schweigen der Gemeinde ihren Platz haben.

Wenn das nicht geschieht, kommt es zu Fremdheit und Entfremdung. Wenn es aber geschieht, dann kommt es zu einer dichten und sehr überzeugenden Ehrlichkeit, der sich der einzelne Mensch dann auch stellen mag! Auch mit dem Auftrag, etwas von dem Verstandenen, von Jesus her im Leben umzusetzen!
Dass das Leben sich wiederfinden lassen soll in der Liturgie, diesem Anliegen müssen sich viele Faktoren stellen. Es geschieht auf den unterschiedlichsten Ebenen: Ob Sprache, Musik, Gesten und Gebärden, Bilder und Symbole… Überall dort, wo möglichst viel verstanden wird und wo Menschen sich ernst genommen, sich treuhänderisch vertreten wissen, wo sie sich angenommen wissen, da sind dann Orte des Heils, Orte lebendiger Liturgie und Orte einer Kirche der Zukunft: Menschenfreundliche Liturgie!

AUCH WENN MICH DAS als Priester in besonderer Weise in die Pflicht nimmt, und vielleicht auch hin und wieder belastet: Ich möchte, dass sich die Menschen in einem Gottesdienst wohl fühlen. Wenn ich das erlebe- und ich gestehe, dass es nicht immer gelingt und gelingen kann- dann fühle auch ich mich beschenkt.
Die Atmosphäre der Echtheit und Ehrlichkeit trägt dazu bei, etwas von der Nähe Gottes zu spüren. Es geht hier nicht um Kuschelecken, sondern um einen Dienst an den Menschen im Namen Jesu.
Einen beeindruckenden- wenn auch umstrittenen – Menschen im Bischofsamt unserer Tage, Jacques Gaillot, möchte ich an dieser Stelle- bewusst abgewandelt, aber höchstwahrscheinlich in seinem Sinne – zitieren: Eine Liturgie, die nicht dient, dient zu nichts! Liturgie ist- und das haben die Liturgiewissenschaftler gut begründet- Dienst Gottes am Menschen und zugleich Heiliger Dienst des Menschen im Angesicht Gottes, und das Ganze eingebettet

Eine Liturgie, die nicht dient, dient zu nichts!

und getragen von der Gegenwart Gottes im Heiligen Geist und in der Gemeinschaft der Glaubenden. So eine Communio erlebt sich immer wieder neu, ob im Gebet, im Gesang, in der Andacht, in anderen Formen von Gottesdienst und in ihrer Hochform, der Eucharistie. Eine Liturgie, die aber nicht dient, dient zu nichts! Und deswegen bin ich froh, dass es Verantwortliche gibt, die suchen und experimentieren, die Formen und Ausdrucksformen finden wollen, die den Menschen entsprechen, die ihre Not
übersetzen und die ihnen die Erfahrung von Glück bescheren, die ihnen gut tun! Hier gilt es, nicht zu pauschalisieren oder alles in einen Guss zu bringen.
Dafür sind unsere Gemeinden, die Menschen, die gewachsenen Traditionen und Bedingungen vor Ort allzu unterschiedlich. Doch ich werde mich stets davor hüten, Sinn- und Wegsucher zu verurteilen oder sie zu beschämen, weil ich vielleicht anders empfinde und denke, weil ich ihre Welten nicht so gut, oder noch nicht so gut kenne. Leider geschieht das immer wieder! Eine Anbiederung an unsere Alltagswelt wäre fatal. Aber die kulturelle Welt, die für die Menschen unserer Zeit existiert, und die wir nicht wegreden können, die gilt es, auch für unsere liturgischen Feiern zu entdecken und zu nutzen. Musik hätte sich z.B. niemals weiterentwickelt, wenn nicht mutige und kreative Komponisten etwas gewagt und dann mehr und mehr etabliert hätten. Gerne zitiere ich einen herausfordernden Text, der uns z. B. zu einem kreativen Umgang mit Musik im Gottesdienst einlädt:
‚In der Liebe zum scharfen Rhythmus im Gesang offenbart sich … die Sehnsucht, sich ganz personal einsetzen zu können. Dem muss der Gottesdienstgesang unbedingt Rechnung tragen. Mit Hilfe der Gottesgabe Rhythmus muss die Kirche über Intellekt und frommes Gefühl hinaus dem ganzen Menschen gegenwärtig sein. Die Kirchenmusik ist innerhalb der liturgischen Erneuerung am Anfang. Sie müsste sich dem Rhythmus anvertrauen und ihn mit dem Wort der Liturgie durchtränken. … Aber wahrscheinlich müssen die Kirchenmusiker dazu erst in einen Jazzkeller gehen und dort stundenlang zuhören.‘ Der Regensburger (!) Pastoraltheologe Josef Goldbrunner schreibt diese Worte im Frühjahr 1965! Damals war ich noch keine drei Jahre alt, – und seine Sätze sind immer noch soooo aktuell!

GOTT SEI DANK ZEIGEN immer mehr Kirchenmusiker ein hohes Maß an Offenheit und Interesse, wenn es darum geht neue Lieder kennen zu lernen und das ein oder andere in der Liturgie zu singen. Eine große Chance liegt in der Delegation: nicht jeder muss alles können! Seelsorgern kommt die Aufgabe zu, die ‚Seele‘ und die ‚Sehnsucht‘ der ihnen anvertrauten Menschen aufzuspüren und zu entdecken, und solche Entdeckungen dürfen nicht folgenlos bleiben. Die Welt der Menschen, ihre Lebens- und Hörgewohnheiten, ihr Sinn und ihre Art zu Feiern, die menschlichen Formen der Begegnung sind unbedingt mit hinein zu nehmen in die Welt der Liturgie:
menschenfreundliche Liturgie. Eine Liturgie, die den Feiernden nicht gut tut, hat kaum Chancen als eine Bereicherung für das Leben empfunden zu werden.

Daran kommt keiner vorbei. Es fällt mir schwer, im Hinblick auf eine menschenfreundliche Liturgie Ratschläge zu erteilen oder etwas zu empfehlen; es könnte überheblich klingen.

Aber am Ende traue ich mich zu sagen, was ich selbst in Gottesdiensten immer wieder versuche.
Ich möchte den Menschen in Texten, Liedern, Gesten und Gebeten vermitteln,
– dass sie willkommen sind,
– dass nicht ich der ‚Chef‘ im Haus bin, sondern der dreieinige Gott,
– dass sie sich wohlfühlen dürfen und keine moralische Hürde im Weg steht,
– dass es eine Freude ist, zur Gemeinschaft der Glaubenden zu gehören,
– dass Zweifel und Kritik kein Hindernis und manchmal notwendig sind,
– dass Bedrohung und Angst-Machen keine ‚Maschen‘ Gottes sind und dass wir Menschen zur Freiheit berufen sind!

Menschenfreundliche Liturgie!