Magazinarchiv: 2006

Randnotizen

VERSCHIEDENE RANDSPLITTER, die bei mir zu dem Eindruck führen, die Wahrnehmung der NGL-Szene leidet darunter, dass wir zu wenig gruselig auftreten, zu wenig erotisch, zu wenig politisch, zu wenig relevant, zu wenig aggressiv.

Wir sind einfach nur brav. Aber wenn uns die Türen zum Gruseligen, zum Schocking, zum Perversen, zum Pornografischen und simplen Protesten geschlossen bleiben – welche Türen stehen uns dann offen? Fühlen wir uns wohl in der Rolle als verlängerter Arm für die Religionspädagogik, mit all ihrer hyper-femininisierender Tendenz und ihrem
alles-lieb-, alles-singt, alles-freut-sich-Daididai in GDur-Gitarren-leicht-Schrubb-Manier? Gelingt unseren NGLs noch Kommunikation? Machen wir NGL, weil wir für Tanzmusik zu schlecht sind? Erschöpfen wir uns selbst mit unserer musizierten Fröhlichkeit, die dann beim Mittagstisch umschlägt in Aggression gegen alle Mit-Kirchlichen, die nicht so fröhlich sein wollen wie unsere Lieder? Öffnet unsere Musik die Türen zum Heiligen?

Leserbriefe sind willkommen.

EIN ROLLING STONE wird 65 und bekennt: der wahre Rock’n Roll findet in der eigenen Ehe statt.
… und außerdem hätte er es etwas übertrieben mit dem Sex and Drugs and Rock’n roll. Interessant: jetzt da er den Sex nicht mehr für so wichtig hält, macht er immer noch Rockmusik.

UND DANN HABEN WIR dieses Phänomen, dass ausgerechnet die hässlichste Band aller Zeiten einen Eurovision Song-Contest gewinnt, der wahrlich zu den Besten gehört hätte, wenn eben nicht die Finnen gewonnen hätten. Es waren unglaublich viele schöne Kompositionen an den Start gegangen– und just die Dämlichste gewinnt. Ich war lange geschockt. Denn die Maskerade der Finnen, spätestens bei den hydraulischen Fledermausflügel, die sich scheinbar von magischer Hand von selbst aufklappten, kam für mich pubertär und albern rüber. Und so was gefällt der größten Minderheit unter den Eurovision-Konsumenten (gruml)
Nachdem der erste Schock sich gelegt hat, fiel mir auf, dass ausgerechnet eine Band gewonnen hat, die im Gegensatz zu vielen anderen Teilnehmern ganz sicher nicht unter dem Label gestartet ist: „Sex sells“. Das war das pure Antiprogramm zur Erotik.
(Einmal Glatze kratzen… hmm).

DA ICH KEIN KABELFERNSEHEN habe, komm ich nur in Hotels und beim Burger King dazu, MTV zu schauen. Bei meinen zufälligen Kontakten beobachte ich erstens, dass die Rapper alle so aussehen und sich benehmen, wie die Jungs, die ich bei meinen Gefängniskonzerten kennengelernt habe, und zweitens, dass die aktuellen Musikvideos die Grenze des Pornografischen mehr oder weniger deutlich überschreiten. Ich bin jetzt aber in einem Alter, wo ich das entweder doof, albern, anbiedernd finde, oder aber auch geschmacklos und jungen Menschen gegenüber verantwortungslos.
Und diese Pornografisierung der Musik unterstreicht nur zutiefst, dass die Musik für sich selbst genommen keinen wahrnehmbaren Reiz mehr bietet.

EIN EVANGELISCHER MUSIKANT erzählte mir: ich muss zuerst einmal eine ordentliche Verpackung anbieten. Ich muss mich erst mal interessant machen, in dem ich eine gute ordentliche Musik, eine gute saubere Verpackung anbiete.
Dann kann ich mit den Leuten ins Gespräch kommen und irgendwann auch meine persönliche Bekehrungsgeschichte erzählen.

PETER HAHNEN von der AfJ ist in die Gladiatorenarena der Zeitschrift von Musica Sacra gestiegen und hat den Kirchenmusikern deutlich ins Stammbuch geschrieben, dass die Repertoire-Erstarrung in den Gemeinden nicht daher rührt, dass es kein neues aktuelles Repertoire gäbe, sondern dass es am Desinteresse von Pastoralkräften und Kirchenmusikern liegt, die sich aus unterschiedlichsten Gründen den neuen Entwicklungen verschließen. Unter anderem benannte er auch die persönlichen Vorlieben der Pfarrrer, die halt nur noch ihre Lieder von vorn 30 Jahren singen wollen.

DIE FAZ HAT KEINE Gelegenheit ausgelassen, in ihren Berichten über den Katholikentag in Saarbrücken, das Dröhnen der NGLs von allen Podien zu „beklagen“.
Das machen die Redakteure zwar geistreich und witzig, und ein Quentchen Wahrheit lässt sich auch sicher finden. Aber es bleibt eben sehr einseitig. Es wird also auch künftig schwer fallen, FAZ-Lesende von der Wichtigkeit des NGLs zu überzeugen. Ich hab versucht, einen der lautesten Redaktoren für ein Interview in Sachen Herzblut anzusprechen, der hat aber dann doch gekniffen, weil er gespürt hatte, dass die redaktionelle Keule sich im differenzierenden Gespräch sehr schnell abgeschliffen hätte.