Magazinarchiv: 2004

Grundsatzfragen

Was ist ein NGL? 3. Teil


Anmerkungen zur Selbstvergewisserung
‚Denn eben wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Mit Worten lässt sich trefflich streiten, mit Worten ein System bereiten, an Worte lässt sich trefflich glauben …‘
Johann Wolfgang Goethe, FAUST. Der Tragödie erster Teil

Die Frage, was ein NGL ausmacht, ist in den vorangegangenen zwei Teilen dieser kleinen Reihe in historischer und stilistischer Hinsicht behandelt worden. Dabei bekam das NGL als gemeindliches Lied einer sich stetig erneuernden und für die Sache Jesu begeisternden Kirche Kontur. Es engagiert sich für einen weltnahen und doch der liturgischen Ordnung verantwortlichen Gottesdienst.
Ansprüche von Kirchenreform und Selbstreform schimmern vielfach durch die Noten- und Textzeilen dieser Gattung.

Ausbau statt Umbau

Welchen pastoralen Rang hat das NGL heute? Die harschen Kontroversen über so manche Ausrichtung der (katholischen) Kirche sind verstummt. Die Sinnspitze des NGL ist nicht mehr Umbau von Gemeindemusik, Gottesdienst oder Kirche, sondern mehr der Repertoireausbau.
Ist das NGL damit am Ende? Wo steht es? Was bleibt von ihm zu erwarten?

Theologische Relevanz und Perspektiven des NGL.

3.1 Wo steht das NGL heute?

Die Szene des NGL ist vital und kreativ. Wenn das Referat für musisch-kulturelle Bildung bei der ‚Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz‘ heute zur Überdiözesanen Fachtagung NGL einlädt, ist die Tagung binnen Kurzem ausgebucht, ja, überbucht. Dieses Forum wird mehr denn je und von Textern und Komponisten für Austausch und Diskussion genutzt! Dass demgegenüber nicht mehr so viele Songs von sich reden machen, wird auch einfach an der Diversifizierung der Szene ins Unüberschaubare liegen. Und nicht zu vergessen: Wenn da kein Aufbruch ist, hört man auch die Lieder des Aufbruchs nicht!
Ob der Weltjugendtag starke musikalische Inspirationen geben kann, bleibt abzuwarten.
Zwar gab es einen offenen, jedermann zugänglichen Wettbewerb um zum Motto-Lied – der so genannten Hymne für den Mega-Event (so lautet der hübsche Komparativ in der Eventorientierten Jugendpastoral) – zu finden. Auch waren die Einsendungen mit mehreren hundert Beiträgen zahlreich, doch welcher Song dem Päpstlichen Laienrat in Rom gefällt und also im Hauptprogramm prominent platziert wird, war bei Abfassung dieses Manuskriptes im Sommer 2004 noch dahin gestellt. Sicher gilt aber auch: So mancher Liedwettbewerb bringt Einsendungen auf den Tisch, die schon dem ersten kritischen Blick nicht standhalten können.
Viele Liedtexte sind stümperhaft: nicht nur theologisch zweifelhaft, sondern oft handwerklich (sprachlich) unbrauchbar.
Die Kriterienkataloge und Hinweise, die Förderer wie der AK SINGLES zur Textarbeit vorgelegt haben, liegen vor, nur scheinen sie zu wenig Beachtung zu finden. Da wird munter gereimt, was das Reclam-Reimelexikon hergibt, werden Sprechrichtung und
Silbenverteilung hemmungslos durcheinander gewürfelt, dass es schmerzt. Vor allem aber: Trotz all der Vielworterei – die Poesie verkümmert.

Auch in musikalischer Hinsicht ist die Situation suboptimal:
Viele Vertonungen klingen beliebig, am PC zusammengeklaubt und uninspiriert. Und wenn beides für sich korrekt sein mag, lässt oft genug das heikle Text-Musik-Verhältnis zu wünschen übrig.

In den vergangenen drei Jahren ist bei den Kreativen eine Hinwendung zur Auseinandersetzung mit der Liturgie (der Feier des Gottesdienstes) zu beobachten. Texter und Komponisten suchen spürbar eine Durchdringung der liturgie-theologischen Ansprüche des Gottesdienstes. Nicht jeder Song, der von seinen Machern beispielsweise mutig Kyrie, Credo oder Gloria betitelt ist, erfüllt den theologischen Sinn der Liturgie.
Das liegt nicht an bösem Willen, sondern an Unkenntnis. Zuletzt hat hierzu das (inhaltlich und organisatorisch vorbildlich betreute) NGL-Forum auf dem Ulmer Katholikentag eine spannende Podiumsdiskussion geliefert.
Der Bonner Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards erwies sich dabei als kompetenter und gesprächsfähiger Sparringpartner für die anwesenden Künstler.
Solcher Dialog zwischen Künstlern und Liturgietheologen ist wünschenswert und muss gefördert werden.
Die Emanzipierung des Kirchenlieds, die es ermöglicht, dass jeder seine/ihre kreative
Fähigkeiten ausleben will, hat nicht unbedingt auch zu einer flächendeckenden Kompetenz zu ebensolchem Tun geführt.

Hier liegt heute ohne Zweifel eines der großen Herausforderungen des NGL. Es wäre zu fördern, dass sich fähige Texter und Komponisten zur Verfügung stellen, um Nachwuchs an ihrem Wissen teilhaben zu lassen. Bandworkshops haben wir jede Menge.
Was uns – weithin – fehlt, sind u.a. qualitätsvolle Textwerkstätten, die im geschützten Raum Sprachentwicklung fördern und das ‚Texten‘ lehren. Man wird auch (selbst)kritisch fragen müssen: Wo sind kompetente!) Mäzene, die Talente suchen, entdecken und fördern? Auf diözesaner wie überdiözesaner Ebene wird in den Etatvorgaben (von Verhandlungen kann man da nicht sprechen) längst das ‚Streichkonzert‘ gespielt. SOLCHE Noten sind up to date.

3.2 ‚Quo vadis NGL?‘

Ist Merkantilisierung der Königsweg für die Kreativen? In Teilen der NGL-Szene gibt es einen entsprechenden Trend:
Man produziert möglichst professionell. Arrangements, Musiker, Mischung und Fertigung passen sich den kommerziellen Ansprüchen des Marktes an.
Ist nicht verständlich, dass ein Ensemble nach 20 oder mehr Tonträgern mal einen ‚Knaller‘ machen will, man also mal die Grenzen auslotet? Das ‚Nest‘ der heimeligen Szene wird verlassen. Mischpult, Monitorboxen und weiteres elektronisches Equipment gehören längst zur conditio sine qua non für marktübliche Pop-/Rockmusik. Pop ist schließlich Technikgeschichte und Technikgeschichte ist Pop. Der Fortschritt macht sich längst bei den Folgegenerationen bemerkbar. Bessere Lieder hat all dies das nicht in jedem Fall hervorgebracht hat.
Auch ist der Wind, der auf dem Feld der Christian Contemporary Music weht, rau. Wenige nur überstehen konkurrenzstarke Kälteperioden. Wohl dem, der seine Marktnische gefunden hat und besetzt halten kann.

Zudem gilt Vorsicht: In Zeiten eines schwach definierten (oder wenig nachgefragten) klaren theologischen Programms feilt man aufwendig an der Verpackung.
Das genuine Anliegen des NGL passt aber nicht unbedingt auf Hochglanzpapier und den Sound von Hollywood und Disney-Studios.
So schwindet bei professionell steigendem Anspruch zugleich die praktische Verwertbarkeit der klingenden Silberscheiben für die Inspiration der gemeindlichen
Praxis. Charts sind das eine, gemeindliche Communio
das andere.

Der Schritt auf das Terrain der Christian Contemporary Music setzt die Kreativen einer doppelten Spannung aus: Für diesen merkantil dominierten Markt oft nicht genug ‚markteingängig‘ und für die Gemeindearbeit oft nicht mehr genug ‚gemeindegängig‘ zu sein, entfremdet die zu Produkten gewordenen Kreationen ihrem Ursprung.
Dabei sind – das zeigt die lokale Arbeit – gerade hier gute neue Lieder stets ’notwendig‘.

3.3 Auf die Praxis schauen

Gleich ob man das NGL am liebsten zur zeitgeschichtlichen Fußnote abheften oder ob als Kreativer von kritischen Rückfragen verschont bleiben möchte, das NGL begreift man am besten als Musik im Leben suchender Gemeinden. Sie suchen klingenden Ausdruck und Impuls für ihre spirituelle Entwicklung.
Diese Suche zu inspirieren, ihr einerseits Gestalt zu verleihen, sie andererseits zu formen und sich von den Bedürfnissen anregen zu lassen, ist das stärkste Potenzial des NGL. Diese Vitalität ist leicht zu erfassen. Ein Blick in die Praxis reicht. Ich habe kürzlich Praktiker der gemeindlichen Musikarbeit (Kirchenmusiker, Bander, jugendpastorale Mitarbeiter) von diversen Bistümern bei einem Workshop gebeten,
ihre aktuelle Einschätzung abzugeben.

Das Ergebnis ist eindeutig:
Das NGL ist unverzichtbar.
Die Gründe im Einzelnen: Es sind dies die Lieder, die sich notwendig ‚von den üblichen Gotteslobgesängen abheben‘, die eine ‚modernere Sprache‘ und ‚andere, jugendgemäßere Melodien‘ bieten.
Dass sie ‚leicht mitzusingen‘ sind, ist ebenfalls wichtig. Solche formellen Kriterien
korrespondieren zu einem inhaltlichen Anspruch:
Hier findet ‚Auseinandersetzung mit dem Alltag und den Erfahrungen mit Christ-sein‘ statt, werden ‚verschiedene theologische, pastorale, anthropologische Fragen thematisiert‘.

Als bedeutsam gilt außerdem, dass diese Lieder ‚ohne hohen finanziellen Aufwand und ohne medienwirksamen Anspruch‘ praktikabel sind. (Ein Tipp: Es muss gar nicht Großbildleinwand, Videoshow und Gigmacht sein. Der ‚Event‘ findet im Kleinen, als inneres Ereignis und nicht zuletzt im Innern statt.)
Neue Lieder werden gewünscht, die ‚ansprechen, anfragen, zum Nachdenken, zur Diskussion anregen und zur Auseinandersetzung motivieren‘.
Die Praktiker antworten bisweilen unverstellt auf die immer wieder erörterte Frage nach der Definition des NGL. So etwa Daniel Kaufhold, ein in der Jugendchorarbeit gestählter Ehrenamtlicher aus dem Bistum Erfurt:
‚NGL ist nicht klar definiert, es gibt zwar viele Versuche, die aber sehr unterschiedlich sind!
Unter anderem könnte es an der Namensvielfalt liegen, mit der man das moderne christliche Lied beschreibt. Ich versuche immer, die Wortbestandteile bzw. die Wörter NEU, GEISTLICH, KIRCHENLIED separat zu betrachten. …Ich empfinde das NGL als rein katholisch! Zumindest den Begriff. Damit verbinde ich eine gewisse Qualität!

Nicht jedes moderne religiöse Lied ist für mich ein NGL, sondern hauptsächlich jene, die sich für den katholischen (oder ökumenischen) Gottesdienst (Gebet, Pastoralarbeit) eignen. Alles andere sind nur religiöse Lieder (christliche Popularmusik, …) oder Lieder mit religiösem Inhalt! ‚Neu‘ kann als aktuell gedeutet werden oder vielleicht besser als neuere Lieder. Es wurden ja eine zeitlang kaum noch Lieder komponiert. Erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil begann ja ein erhöhter Bedarf an neuen Liedern für Kinder und Jugendliche. NGL müssen nicht unbedingt Jugendlieder sein. Für mich ist es vielmehr ein neues Liedgut nach dem Cäcilianismus und dem Vatikanum, welches als Kirchenlied seine Funktion hat.‘

Ausblick

Wo Menschen ihren Glauben als vital erfahren wollen, werden sie kreativ und so entstehen neue Lieder. Der Geist sucht stets neuen Ausdruck. So lebten und leben Menschen mit neuen Liedern. Das NGL, das ich mit dieser kleinen Reihe in den Blick nehmen sollte, profilierte sich vielfach als ‚gesungenes Programm‘ eines sich erneuernden Glaubens, seines Gottesdienstes und eines weltnah geistlichen Lebens. Seit den Anfängen zieht sich ein roter Faden durch: Von Gottes Guter Nachricht für das Leben Neues zu sagen; die Botschaft neu zu formulieren. Dies mit geistlichem Hintergrund zu tun und dabei schließlich von liedhaftem und leicht reproduzierbarem Charakter zu sein, kennzeichnet das NGL. Dass solche Lieder immer wieder entstehen, steht außer Frage und bleibt zu wünschen.

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Peter Hahnen
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Im letzten Teil der Reihe werden
wir ggf. Ihre Anregungen aufgreifen:
Teil 4 ‚Nachgehakt. Antworten
auf Fragen unserer Leser zu der
Reihe.”


Erscheinungs-Informationen

Autor: Dr. Peter Hahnen
Magazin-Ausgabe: 10 Jahre auf Seite 7

Sofern nicht anders vermerkt: © Musica e Vita e.V.