Magazinarchiv: 1997

Stimm-Bildung!

Stimmt's bei dir noch?


Neue Geistliche Lieder (NGL) haben einen großen und gewichtigen Vorteil: Sie laden ein, mitzumachen (Fremdwort: Partizipation). Warum ist das wichtig? Weil in unserer Kirche viele Theoretiker rumrennen, die mit tollen Zitaten um sich werfen und sich die Frage stellen: wie soll zeit- und jugendgemäße Kirchenmusik aussehen? Dann entwerfen sie komplizierte Gedanken, machen daraus ätzend langweilige Musik, sind danach ratlos, weil das ergähnte Publi-kum zu doof ist, zu kapieren. Der Fehler dieser Theoretiker: Sie schauen nur auf die Partitur!

NGL- Kirchenmusik zum Mitmachen
Wer aber Kirchenmusik machen will, der darf nicht mehr an alte Zeiten denken, als die Gemeinde von hinten oben mit tollen Schubertmessen zugedeckt wurde. Wenn wir heute Musik in der Kirche machen, dann bitte so, wie es Papst und Bischöfe in den 60er Jahren beim 2. Vatikanischen Konzil gefordert haben: nämlich so, dass die ganze Gemeinde aktiv am Gottesdienst teilnehmen kann. (Fremdwort: Partizipation).
Deshalb mein erster Tipp an alle NGLer: Macht euch schlau, macht euch kundig, was damals beschlossen wurde. Macht euch kompetent gegenüber den Kirchenmusikern und Pfarrern, die sich nicht an die neuen Spielregeln (Mitmachen, Teilnehmen lassen) halten wollen.

Gemeinde – Gottesdienst, nicht Konzert
Ganz wichtig beim Argumentieren: unser Sonntags-Gottesdienst ist der Gottesdienst der ganzen Gemeinde (mit einem Priester als Vorsteher), es ist nicht ein Gottesdienst, den der Pfarrer für die Gemeinde hält!
Das gilt natürlich auch für die Musiker: im Gottesdienst nicht für die Gemeinde ein Konzert machen, sondern mit der Gemeinde musizieren. Banal? Es gibt genügend Gegenbeispiele. Wichtig ist auch, wenn ihr euch in euerer Band oder Singgruppe einig seid, wozu man eigentlich in einem Gottesdienst singen soll. Man könnte ja (theoretisch) den Gesang weglassen. Kann man das? Diskutiert darüber! Wie viele innere Qualen und Konflikte würden wegfalen, wenn wir nicht mehr singen würden! Herrlich! Oder ihr fragt: woran liegt’s, dass so vieles so gequält und so langweilig gesungen wird?

Abstimmung ist gefragt
Weils einen nicht berührt, weils irgendwie nicht stimmt. Mein Tipp: Achtet darauf, dass das, was ihr macht, für euch auch „stimmt‘. Sonst vergebt ihr euere Stimme. Und das passiert so oft bei jeder Art von Musik: es stimmt nicht. Wie oft hören wir in der Kirche: „klascht in die Hände, jubelt ihr Völker!‘ und was geschieht: keiner klatscht, keiner jubelt, jauchzt oder jodelt. Und wenn’s jemand täte, würde er oder sie unangenehm auffallen. Und genau das ist ätzend. Und dann stimmts einfach nicht, was wir tun. Und dann stimmts auch nicht, was an einer zentralen Stelle des Hochgebetes vorgelesen wird: „Wir bringen dir das Opfer des Lobes das!‘ (Bitte nochmals lesen und verinnerlichen!). Was dort am Altar stattfindet, ist nicht ein religiöses Schlachten von unschuldigen Jesus-Lämmern, um sich mit Gott zu versöhnen, sondern: wir loben und danken Gott für das, was durch Jesus Christus alles wieder offen (und versöhnt und geheilt und …) ist.

NGL-ein Allheilmittel?
Wenn eine Gemeinde aus einem Gottesdienst herausgeht und nicht das Gefühl hat, dass sie Gott danken und loben konnte, sondern so einen pelzigen Geschmack auf der Zunge hat, dass jetzt ne Spritze Anti-Depressiva gut wäre, dann war der Gottesdienst für die Katz. Dann stimmt was nicht mit dem Gottesdienst. Die neuen modernen Kirchenlieder sind keine AIlheil-Rezepte, auch mit ihnen kann man am Gottesdienst vorbei musizieren. Deshalb Augen auf: nicht alles ist gleich gut, nicht alles „stimmt‘. Vor allem: was ihr singt, muss auch für euch stimmen!
Aber macht keine Ideologie daraus! Ich selber singe gelegentlich auch mal ein Marienlied mit, das ich nicht mag, aber ich weiß, dass es die Omis um mich herum ganz arg mögen, und es besonders mögen, wenn eine junge Männerstimme mitsingt. Wenn ich den Großmüttern eine große Freude bereiten kann, dann stimmts für mich wieder. Als positiver Nebeneffekt, neben schon manchen bezahlten Kaffee und Kuchen, stellt sich heraus, dass die Omis dann auch bei meinen Liedern gerne mitsingen.
Ihr merkt also: Gute Kirchenmusik ist eben nicht mehr eine Frage nach der richtigen Partitur, sondern ein Anlass, wie Gemeinde vor Gott zusammenwachsen kann.
Also: Singen im Gottesdienst ist kein Luxus, den man weglassen kann. Wer im Gottesdienst singt, will, dass es stimmt, wenn wir Gott loben und danken. Ein heruntergeleiertes „Halleluja‘ mit lustlosem Gesicht stimmt nicht. Was aber stimmt dann?

Hausaufgabe
Fragen für die Gruppenstunde: Stimmts bei uns in der Gruppe? Stimmt das, was wir wollen mit dem, was wir tun überein? Stimmt unser Auftreten mit dem, was wir gerade singen? Stimmen unsere Lieder: Überfordern oder unterfordern wir uns und/oder die Gemeinde?
Macht einmal einen Lieder-vergleich: Nehmt euer Lieblingslied, das ihr am öftesten aufführt und guckt euch den Text an! Wollt ihr das wirklich gesagt haben, was ihr da singt? Vergleicht euer Lied mit dem Lied „Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr‘ (Gotteslob Nr. 621, Evang. Gesangsbuch Nr. 382). Stimmt das? Könnt ihr echt sein, wenn ihr das singt?

Lasst es uns in der Redaktion wissen, was ihr diskutiert habt und was ihr für euch beschlossen habt. Ich freu mich auf euere Briefe
Tschüss


Erscheinungs-Informationen

Autor: Alexander Bayer
Magazin-Ausgabe: 1998 auf Seite 16

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