Magazinarchiv: 1999

Kontaktstelle Württemberg

Der württembergische Ableger von Musica e vita war in diesem Magazin bisher ein stiller Zeitgenosse. Heute meldet er sich zu Wort, um Eindrücke von 1998 mitzuteilen.

Eigenes Profil der Kirchenmusik

Dass wir in der Diözese Rottenburg-Stuttgart ein etwas anderes Profil entwickeln sollten, war von Anfang an klar. Denn die schwäbische Diözese ist dem Neuen Geistlichen Lied sehr aufgeschlossen. Das Liedbuch ‚Erdentöne-Himmelsklang‘ hat sich über 20.000 mal verkauft und gehört in vielen Gemeinden zum festen Bestandteil. Die Orgelsätze zu diesem Buch wurden von zahlreichen hauptamtlichen Organisten geschrieben, was anzeigt, dass NGL nicht die Sache einiger weniger musikalischer Höhlenforscher ist. Wichtige Impulse gehen vom Amt für Kirchenmusik aus über die Ausbildung des künftigen Kirchenmusikers. Man bereitet nicht nur behutsam den Ausstieg aus der ‚Orchestermesse‘ vor, sondern sagt auch deutlich, dass das Bild vom virtuosen Kirchenmusiker auf der Orgelbank ausgedient hat. Der Kirchenmusiker steigt auf zum Gesprächspartner in Sachen Liturgie, und – zumal er künftig viele musikalische Gruppierungen in der Gemeinde zu betreuen hat – er wird wahrgenommen als pastoraler Mitarbeiter. Wenn also der Kirchenmusiker nicht mehr nur durch die Orgel, sondern durch die Vielfalt der Musizierenden in der Kirche sein Profil erhält, dann war der Schritt, die Popularmusik in das Ausbildungsprogramm der Kirchenmusikschule aufzunehmen folgerichtig.
Da inzwischen die katholische und evangelische Kirchenmusikhochschulen in Rottenburg und Tübingen kooperieren und fusionieren, profitieren die Katholiken von dem Popularkirchenmusikdozent Michael Schütz. Bei ihm können inzwischen richtig offizielle C-Prüfungen abgelegt werden. (Außerdem sei sein Buch im Strube-Verlag empfohlen: ‚Gott gibt ein Fest‘, Arrangements für Band, Instrumentalisten für Lieder aus dem neuen evangelischen Gesangbuch – auch für Katholiken eine Schatzkiste).

MeV ergänzt Basisarbeit

Diese Entwicklung ist einfach erfreulich, klug, weise und sinnvoll. Was kann da Musica e vita noch leisten? Genug! Zum Beispiel Bandbetreuung vorort. Momentan helfen wir gerade einer Neugründung in Bietigheim-Bissingen in die Schuhe. Oder wir veranstalten Workshops im Tagungshaus der Comboni-Missionare in Mellatz/Allgäu. Der größte unter ihnen war der Workshop ‚Liederraffinerie‘ des Ensembles Entzücklika zusammen mit Alfons Leierseder (Gitarre). Der Workshop sprengte alle Maßstäbe, denn von 7 bis 77 Jahren war alles vertreten. Alfons wusste mit einem genialen Adlerfest mit selber gebauten Trommeln und kultivierten ‚Ich hol dir was zu Essen‘ aus Fremden Freunde zu machen. Besonders angenommen werden auch die Einzelstimmbildungseinheiten von Maria Sailer. Sie erkennt schnell und zielsicher, wodurch eine Stimme blockiert wird und gibt wertvolle Tips zur Erweiterung von Stimme und Selbstwertgefühl. Der originellste Workshop war wohl das Wochenende bei den Franziskanerinnen im Kloster Sießen (woher die Holzschnitte von Sigmunda May und die Hummel-Figuren herstammen). Fünfzig hochmotivierte Schwestern machten mit ihrem Engagement aus dem Workshop ein religiöses Fest, wie man das nur selten erlebt. Jochen Achhammer gab in kurzer Zeit, soviele Tips, dass die Schwester, wie sie selber sagen, Futter für ein halbes Jahr erhalten haben.

Literatur und…

Musica e Vita / Kontaktstelle Württemberg versteht sich aber auch als wichtiger Multiplikator für neue Liedliteratur. Denn so wohltuend die Nähe zum protestantischen Lager ist, so unterschiedlich können auch die musikalischen Ansichten sein. Rund um Stuttgart konzentrieren sich zentrale Figuren der protestantischen NGL-Szene. Es gibt Unterschiede. Während wir Katholiken in der Hauptsache das NGL für die Liturgie betreiben, denkt der protestantische NGLer (sofern er sich so nennen würde) mehr vom Konzertbetrieb, wo er mit modernen Mittel Mission betreiben möchte. Aus dieser Ecke kommt z.B. auch die neuerdings im Fernsehen bekannt gewordene Gruppe ‚Beat-Betrieb‘. Sie gewannen den VIVA-Nachwuchsbandpreis. Überaus präsent in Schwaben sind der Verlag ‚Hänssler‘ und der CD-Vertrieb ‚PILA‘, den ich mal als den ‚Otto-Versand‘ für christliche Popularmusik bezeichnen möchte. Hier findet jeder Geschmack seine passende Scheibe. Da gibt es von Gospel über Räpp bis Heavy Metall alles. Und zu allermeist in professionellster Qualität. Also nicht nach dem Motto: ‚zwar nicht gut – aber dafür gut gemeint‘. Wer sich musikalisch weiterbilden möchte, sollte sich PILA* merken.
Was PILA nicht kann (oder auch gar nicht will): die passende Literatur für einen katholischen Gottesdienst empfehlen. Das kann Musica e vita besser – und vor allem. Musica e vita kann sich besser auf die Verhältnisse vorort einstellen.

Lieder tanken

Wir haben das Leiersedersche Konzept der Liedertankstelle übernommen und in Obermarchtal eine Filiale aufgemacht. In sieben Abend-Veranstaltungen stellten wir den Interessierten der Region Oberschwaben ca. 80 neue Lieder vor, einschließlich witziger Einsingübungen und Erläuterungen zu den Liedern. Am Ende stand eine kleine Hitparade, die das Lied ‚Eingeladen zum Fest des Glaubens‘ gewann. Manche Musiziergruppen verlegten sogar geschlossen ihre Proben in die Liedertankstelle. Die Veranstaltungen waren gut besucht. Manchmal sogar übervoll.
NGL im liturgischen Kontext

Zur Zeit hat die Liedertankstelle Ruhepause, um wieder neues Material zu schöpfen – und weil die Ausführenden des Ensembles Entzücklika eine weitere, sogar noch erfolgreichere Strategie verfolgen: nämlich die Abendgesänge auf dem Bussen (der sogenannte heilige Berg in Oberschwaben). Mehrere Wochen lang lädt jeweils donnerstags das Ensemble um 20.45 Uhr in die Bergkirche zu einer liturgischen Veranstaltung ‚Abendgesänge‘. Die späte Uhrzeit macht es vielen Eltern mit kleinen Kindern möglich, teilzunehmen. Und gerade sie sind es ja, die hier die Verbreitung des NGL befördern. Der Vorteil dieser Reihe ist, dass das NGL nicht um seiner selbst willen dargestellt wird, sondern in einem liturgischen Kontext. Das NGL wird hier zum Exerzitienmeister für einstündige Exerzitien im Alltag. Es kommen also nicht Menschen in einer Funktion als Chorleitende oder Kirchenmusiker, sondern es kommen Menschen, die einen Gottesdienst feiern wollen. Wir feiern Gottesdienst und die NGL’s ihre Bewährungsprobe. Wir hatten übrigens auch Gäste vom Domkapitel da, die sehr beeindruckt waren, als sie wahrnahmen, dass selbst die vielen sogenannten alten Leute, die neuen unbekannten Lieder engagiert mitsangen.
Die Obermarchtaler nahmen ihre Liedertankstelle mit Freuden auf – und adelten sie, indem sie ihr sogar einen Fasnetswagen widmeten. Wer an der Straße stand, musste durch den Lieder-TÜV. Eine Mistgabel gab den richtigen Ton an. Da wussten wir: wir sind akzeptiert!

* PILA Music
Postfach 143
72135 Dettenhausen