Stimmabgabe für Christus

20. Mai 2003

Erstveröffentlichung durch
Würzburger katholisches Sonntagsblatt
Juliuspromenade 64a
97070 Würzburg

WÜRZBURG. Neue Geistliche Lieder (NGL) sind keine Werbemaßnahme zur Auffüllung leerstehender Kirchenbänke. Daran lässt Dr. Peter Hahnen keinen Zweifel. Hahnen ist Referent für Ministrantenarbeit und musisch-kulturelle Bildung bei der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge in Düsseldorf. Im Sonntagsblatt-Interview spricht er von der Entstehung, dem Anliegen sowie der Bedeutunge der NGL. Und er verrät, welches Lied er selbst
besonders gerne singt.

Herr Dr. Hahnen, die Palette der so genannten Neuen Geistlichen Lieder – kurz NGL – ist riesig. Wie würden Sie diese Art von Kirchenmusik definieren?
Kurz gesagt sind NGL Lieder im Klanggewand der Pop-/Rockmusik, die meist für gottesdienstliche Anlässe entstehen. Inhaltlich waren sie in der ersten Phase, also Mitte der 60er bis Ende der 70er Jahre, stark von befreiungstheologischen Themen inspiriert. Es ging um den Volk-Gottes-Gedanken. Man hatte sich die Kirchenreform auf die Fahnen geschrieben und die Lieder stellten auch ethische Ansprüche an die Singenden. Man kann sagen, dass die Texte in gewisser Weise die Befindlichkeit unserer Gemeinden widerspiegeln.

Es gibt Leute, die mit dem Begriff Neues Geistliches Lied nicht sonderlich glücklich sind. Für Sie …
… ist NGL ein Arbeitsbegriff – dafür taugt er und dafür reicht er auch. Ohnehin ist das Anliegen viel wichtiger als sein Name. Es geht um den Anspruch, die Gemeinde in der Sprache von heute mitsingen zu lassen. Mehr noch: Sie soll sich in Texten und musikalischen Idiomen in der Feier ihres Glaubens ausdrücken können. Es ist doch verheerend, wenn man im Gottesdienst vermeintlich nichts zu suchen hat, nur weil man die musikalischen Idiome früherer Jahrhunderte nicht teilt.

Wer sind eigentlich die Texter und Komponisten der NGL?
Es sind Leute aus der kirchlichen Praxis, die die Lieder aus Leidenschaft schreiben. Oft entstehen NGL auf eine bestimmte Situation hin und ziehen dann Kreise. Gute Lieder „sprechen“ sich rum!

Fällt Ihnen vielleicht ein konkretes Beispiel ein? Erzählen Sie doch mal!
Da wäre etwa Pater Norbert Becker. Er arbeitete als Religionslehrer in einem Schulzentrum. Als dort jemand starb, wurde für das Requiem ein Lied benötigt. Becker setzte sich mit den Schülern zusammen und sprach mit ihnen. Aus diesem Gespräch entstand ein Liedtext, den er prompt vertonte. So bringt Musik das Leben an dieser Schule zur Sprache. Das Leben mit seinen Höhen und Tiefen, mit Freude und Zweifeln wird aussingbar gemacht, oft genug: „bet-bar“ gemacht.

Nicht selten werden NGL vor allem mit jungen Menschen in Verbindung gebracht – mit Jugendgottesdiensten, Jugendfreizeiten, Jugendtagen und so weiter. Bietet denn die Musik die Möglichkeit, Jugendliche für die Kirche zu interessieren?
NGL sind keine Werbemaßnahme zur Auffüllung leerstehender Kirchenbänke. Sie wollen Gemeinden die Möglichkeit geben, ihren Glauben zeitgemäß auszudrücken. Unsere Kirchen durch trickreich gewählte Musik voller zu machen, war nie die Intention. Wir reden über theologische Überzeugungen, nicht über Marketing!

Es wäre aber doch ein schöner Nebeneffekt.
Wenn ein Gottesdienst die Menschen erreicht, und die Liturgie den Menschen hilft, statt sie zu plagen, verdankt sich das in der Regel einer sorgfältigen Vorbereitung, engagierten Mitwirkenden und einer guten Leitung. Das ist eine Kunst! Das kann ich als liturgisch Verantwortlicher mit herkömmlichen Liedern aber auch erreichen. Man muss sich nur ein bisschen Mühe geben, damit Text, Musik und Handlung eine Einheit bilden. Das NGL bietet hierzu viele gute Lieder, aber sie können durch Gedankenlosigkeit jeden Gottesdienst, sei es ein Hochamt, Werktagsgottesdienst oder sei es Wort-Gottes-Feier „klein kriegen“. Da hilft dann auch keine Musik mehr.

Welche Rolle spielt die Musik überhaupt?
Für NGL gilt, dass sich Menschen, denen diese Musik gefällt, mit dem Singen auf einen Glauben einstimmen, der ihnen in weiten Teilen fragwürdig geworden ist. Im Augenblick sind wir doch in einer Situation, in der Christen nicht selten als kurios erlebt werden. Umso wichtiger ist es für sie zu erfahren, dass sie sich mit ihrem bisschen Glauben ausdrücken können. Und da ermöglicht das Singen eine „Stimmabgabe“ für Christus. Allgemein würde ich sagen, dass man sich mit einem Lied selbst eine Gestalt gibt und sich seiner selbst gewisser wird.

Umso wichtiger ist dann wohl die Auswahl für das neue Gotteslob. Laut einem Beschlusstext der Deutschen Bischofskonferenz sollen auch NGL aufgenommen werden.
Natürlich müssen NGL rein – und zwar kräftig. Das ist auch gar nicht strittig. Lesen Sie nur die offiziellen Verlautbarungen dazu. Gut vorgemacht hat es das neue Schweizer Kirchengesangbuch oder das evangelische Gesangbuch. Da wurden eine ganze Reihe guter Lieder aufgenommen, die überhaupt nicht in Konkurrenz stehen zu den herkömmlichen Kirchenliedern. Das hat das NGL übrigens sowieso nie beabsichtigt. Ich kenne keinen Texter oder Komponisten, der die Lieder schreibt, um herkömmliche Lieder zu verdrängen.

Sie sprachen vom evangelischen Gesangbuch. Sind denn die NGL ökumenische Lieder?
Das waren sie von Anfang an. Zum einen arbeiten viele Texter und Komponisten vor Ort ökumenisch, zum anderen gibt es auch immer wieder neue ökumenische Projekte. Auf dem Ökumenischen Kirchentag in Berlin werden Sie erleben, wie sich die Konfessionen über den „Skandal der Spaltung“ hinweg, wie es in Taizé so gut ausgedrückt wird, singend die Hände reichen können. Das NGL ist Kirchenmusik, die verbindet, nicht trennt.

Herr Dr. Hahnen, Sie kennen doch sicherlich eine Menge NGL. Haben Sie denn auch ein Lieblingslied?
Da gibt es viele. Ein Lied, das ich aber ganz besonders gerne singe, ist „Singt dem Herrn alle Völker und Rassen“. Es bringt Lebens- und Glaubensfreude zum Ausdruck, ohne textvergessen zu jubeln. Übrigens war sein Texter Liturgiewissenschaftler! Der Text der Strophen ist bei genauerem Hinsehen ein theologisches Programm: Er fordert auf, als Menschen von heute dem Gott unseres Glaubens und der Verbreitung der Guten Nachricht gerecht zu werden. Glaube und Kirche sollen in der Welt lebbar gemacht werden, nicht daneben. In diesem Lied ist das kongenial gelungen.

Interview: Martina Schäfer

Referenzen

http://www.bistum-wuerzburg.de/bwo/opencms/information/medien/Sonntagsblatt/
http://ngl-deutschland.de/