Thomas Quast: „zur Frage, was das NGL in meinem Leben und für mein Leben ist…“

1962 wurde ich in ein reform-freundliches und ökumenisch-offenes katholisches Elternhaus „em hillije Kölle“ geboren – mit mütterlicherseits einer guten Portion alemannischem Musiker- und (Lebens-) Künstler-Blut, väterlicherseits gewissen Anteilen oberbergischer Neigung zur Konsequenz und gelegentlicher Dickköpfigkeit in den Adern beschenkt. Das Elternhaus war von Anfang auch ein Geschwisterhaus – zuletzt mit zwei älteren Brüdern und zwei jüngeren Schwestern. Das richtige Maß und die goldene Mitte waren mir gewissermaßen in die Wiege gelegt.

1962 war auch als Jahr der Eröffnung des 2. Vatikanischen Konzils Anfangspunkt vieler Hoffnungen und Erwartungen, unser Papst Johannes XXIII. sprach vom „aggiornamento“, sein Programm war, Glauben und kirchliche Verkündigung in der Sprache der Menschen von heute zu sagen.

Die Luft, die durch die vom „aggiornamento“ geöffneten Fenster und Türen hereinwehte, atmete ich von Kindesbeinen ein: zuhause in der Familie, aber auch in der Kirchengemeinde, einer – ich nenne sie mal so – „Reformprojektgemeinde“ in einem Neubaugebiet im Kölner Osten mit vielen jungen Familien: deutsche Texte auf Spirituals, Jugendmessen und neue Lieder gehörten zum Sonntag wie das Amen in der Kirche. Die Jugendbands (es gab mehrere) der Gemeinde spielten, als ich zehn und zwölf Jahre alt war, die „Traummesse“ von Alois Albrecht und Peter Janssens und das sonstige Liedprogramm von Peter Janssens, Oskar Gottlieb Blarr und den anderen, ebenso Schola und Band in der katholischen Jugendgruppe an der Schule.

1975 wechselte ich von einem Gymnasium in Köln auf eine Internatsschule der Pallottiner in Rheinbach bei Bonn, sang dort Gregorianik in der Schola, deutsche Liturgiegesänge mit der Orgel und neue geistliche Lieder in der Schul- und Jugendmesse. Und wurde angesteckt von der Idee Vinzenz Pallottis vom (Laien-) Apostolat, von der Berufung aller, Kirche als Volk Gottes mitzugestalten.

Als mir die Etüden und Sonaten im Klavierunterricht zu langweilig wurden, nahm ich – mit ca. 14 oder 15 Jahren – die Liedblätter aus den Gottesdiensten mit, spielte die Melodien, fand Harmonien dazu. Bald hatte ich mit einem Freund die erste Band gegründet, wir musizierten in Gottesdiensten und Gebetsnächten, aber auch beim Karneval und sonstigen Höhepunkten; erste eigene (noch ungeistliche) Kompositionen entstanden.

Und ich empfand, was ich Jahre später bewusst erkannte und in Anlehnung an ein Wort Dietrich Bonhoeffers so benennen möchte: Es ist manchmal zu wenig, die alten Lieder zu singen, anstatt mit den Armen und Unterdrückten zu schreien. Das Neue Geistliche Lied war immer auch ein (gesellschafts- und welt-) politisch und sozial engagiertes und orientiertes Lied, wußte die Anfragen von heute in der Musik- und Textsprache von heute zu stellen. So blieb ich hier mit dem Gefühl, aber auch meinem Verstand hängen.

Nach dem Abitur 1982 fand ich in der Jugendband „Agape“ in meiner Heimatgemeinde Aufnahme, konnte ab 1983 bei Chor und Band „Ezechiel“ in Köln unter der Leitung von Hans Florenz musizieren, lernte dort meine baldigen Mitmusiker bei „Ruhama“ Maria Wilberz (Manderscheid), Andrea Rolfes (Hommelsheim), Thomas Laubach, Hanspeter Hommelsheim und Michael Scholl kennen. Im Advent 1984 fanden wir uns – nach einem Vorläuferprojekt „Ruhama“ in teilweise anderer Besetzung – zusammen, 1985 kamen Klaus Theißen, Gregor Linßen und Thomas Nesgen dazu. „Ruhama“ als Gesangsquartett mit Band war komplett.

Die weitere „Ruhama“-Geschichte gibt’s hier nicht mehr, die findet Ihr im Internet unter http://www.ruhama.de. Sie ist für mich – auch – (Lebens-) Geschichte

  • der intensiven Zusammenarbeit mit meinem Freund, dem Textdichter Thomas Laubach, ein Miteinander, das 1984/85 ganz vorsichtig begann, 1986/87 mit dem Musikspiel zum Exodus „Ins gelobte Land“ einen Quantensprung zeitigte und wesentlichen Niederschlag in unserem „Ruhama“-Liederbuch (2. Auflage 2001) gefunden hat;
  • einer intensiven Weggefährtenschaft mit meinen Mitmusikanten bei „Ruhama“, die immer wieder Raum für Anstöße, Anfragen und Neues bietet;
  • der Begegnung und Zusammenarbeit mit anderen im Engagement für eine lebendige, geschwisterliche, solidarische und ökumenische Kirche, wie zum Beispiel mit Uwe Seidel, bis September 2000 Pfarrer an der (evangelischen) Johanneskirche in Köln-Klettenberg, dem tvd-Verlag Düsseldorf oder mit Hanns Dieter Hüsch.

In all den Jahren sind rund 100 Gemeindelieder (wie zum Beispiel „Lied der Heimkehr. Im Jubel ernten“ und „Unter die Haut“, wie „über Mauern“ und „Keinen Tag soll es geben“) entstanden, zwei größere Musikspiele („Ins gelobte Land“ 1987; „Bartolomè de Las Casas“ 1992) sowie etwa zwanzig Lieder kirchen-kabarettistischer Art.
Im übrigen war und ist es mir wichtig, nicht nur selbst zu musizieren, sondern auch meine Kenntnisse und Erfahrungen weiter zu geben: So bin ich seit 1988 zu einer Vielzahl von Workshops und Kursen eingeladen worden; seit 1994 bin ich Dozent an der Katholischen Hochschule für Kirchenmusik St. Gregorius Aachen und unterrichte dort angehende Kirchenmusiker.

Nach Abschluß des Jura-Studiums 1988 schloss ich ein Studium in Musikwissenschaft und Geschichte an, konnte nach dem Rechtsreferendariat 1992-1994 im Jahr 1995 Richter werden, ein Beruf, den ich mit großer Freude ausübe.

1997, 1998 und 2000 sind meine Frau und ich mit drei Kindern beschenkt worden, zwei starken alttestamentlichen Frauen (Judith und Debora) und einem Engel (Gabriel).

Auch wenn mein Leben hierdurch und durch Sonstiges immer wieder in reicher Bewegung ist: Es scheint mir, dass ich um die neuen Lieder auch zukünftig nicht herum komme, sie für mich eine sehr spezifische Möglichkeit bleiben werden, Glauben und Leben in der Sprache von heute auszudrücken und zu benennen und mich zugleich einzumischen, wie Kirche morgen sein wird.