Gerhard Hany: „Was bedeutet NGL für mich?“

Also ich hab mit NGL angefangen, weil ich so die Möglichkeit hatte, regelmäßig vor mehr als 300 Leuten aufzutreten. Welcher Musiker in meinem Alter (damals so um die 15 Jahre) konnte das schon von sich behaupten? Die anderen Musiker spielten in Jugendhäusern oder in Partykellern und hatten immerhin 30 bis 50 Zuhörer. Aber wir! 300, manchmal 400 oder bei besonderen Veranstaltungen weit mehr. Und wir waren regelmäßig auf Tour, naja, in Nachbargemeinden eben. Aber eben auf Tour. Zugegeben, die Antwort ist etwas flappsig. Nur um viele Zuhörer gings uns allen damals nicht. Aber ein netter Nebenbei-Effekt war das allemal.

Und jetzt mal ernsthaft, warum NGL? Das passierte eher zufällig. Mein Bruder Ernst hatte damals, das war so um das Jahr 1975, die Idee, die Kirche, vor allem die Gottesdienste, frischer zu machen. Nicht am Prinzip zu rütteln (wie auch!) sondern die Messe „attraktiver“ zu gestalten. Nun muss man wissen, dass Pfarrkirchen (meine Heimatstadt) ja vorbelastet war mit NGL. Es gab zu dem Zeitpunkt bereits zwei „Pfarrkirchner Messen“, geschrieben von M. Huber und F. Schiller, sogenannte Jazz-Messen. Und in dieser Tradition und mit der Unterstützung eines christlichen und engagierten Elternhauses nahm sich eben auch mein Bruder der Sache an, neuen Wind in die (lokale) Kirche zu bringen.

Nun traf er natürlich auf ziemliche Ablehnung. Aber da forderte er unseren damaligen Stadtpfarrer heraus und der ließ sich darauf ein: Wenn wir es schaffen sollten, die alten Gotteslob-Lieder moderner zu singen, dann würde er unsere Sache (Bandgründung, Anlagenkauf etc.) unterstützen.
Also waren unsere ersten NGL die uralten „Kracher“ aus dem Gotteslob. Und damit mein ich nicht so Lieder wie „Die Erde ist schön“ oder „Danke für diesen guten Morgen“, sondern Lieder, bei denen Jahreszahlen deutlich vor 1700 standen. Und es ging, es ging sogar gut und schon bald waren wir eine richtige Band mit Anlage und regelmäßigen Auftritten. Und dann auch schon bald mit „richtigen“ also „neuen“ geistlichen Liedern.

Dass ich bei der Gruppe war, lag daran, dass ich der Bruder vom Gründer war, außerdem Keyboard spielen konnte und eigene Ideen einbringen konnte, was Arrangement betraf. Nach drei Jahren hatte ich die Leitung der Gruppe übernommen, die nach und nach zur Rock-Band wurde. Schlagzeug, E-Gitarre, Bass, Tasten und mehrstimmiger Gesang. Meistens zu laut für die Kirche, aber dafür mit Erfolg. Wir schafften es, regelmäßig mehr Leute in die Kirche zu bringen als zu normalen Gottesdiensten, wir wurden angefragt in umliegenden Gemeinden und bei entsprechenden Veranstaltungen, Hochzeitsgottesdienste sowieso.
Auch wenn sich meine erste Antwort nun so anhört, als ob wir auf „unsere vielen Zuhörer“ stolz gewesen wären und als ob das unsere einzige Motivation gewesen wäre, möglichst viele Zuhörer zu haben – nein, unser Anliegen war bereits damals nicht unsere „Berühmtheit“, sondern wir sahen uns immer als Teil der Gottesdienstfeier, als Unterstützung für das Anliegen der Messe – ja, als seelsorgerisches Hilfsmittel. Wir lockten die Leute in die Kirche und der Pfarrer konnte so Leute erreichen, die er sonst nicht erreichen konnte. Leider gingen viele Priester, obwohl wir sie eigentlich unterstützen wollten, zu uns auf Konfrontationskurs und es war oft nicht leicht (im Gegenteil!), mit Freude, mit Engagement, mit Enthusiasmus an die „Sache NGL“ ranzugehen, viel Freizeit, viel Geld zu opfern, um Musik zu machen, die nicht uns sondern einer anderen Sache dient.
Tja, da beneidete ich die anderen Musiker, die zwar weit weniger Publikum hatten in den Jugendhäusern und den Partykellern, aber die konnten ihre Sachen spielen, die hatten Publikum, dass nur und ausschließlich für sie kam und die standen im Mittelpunkt ihrer Auftritte – wir nicht!
Und trotzdem – das Gefühl zu haben, man kann Leute erreichen, man kann Leute motivieren, und sei es auch nur mal sonntags wieder in die Kirche zu gehen und sich in irgendeiner Form mit Glaube, Kirche oder Gottesdienstgestaltung auseinander zu setzen, das ist ein gutes Gefühl. Und zu merken, dass Leute von der eigenen Musik angesprochen werden, sich plötzlich mit dem Inhalt der Lieder beschäftigen und später, als ich meine eigenen Lieder geschrieben habe, sich mit meinen Aussagen beschäftigten und für sich selber was rausholten, da wusste ich dann endgültig, dass NGL eine Möglichkeit ist, Leute mit Dingen zu konfrontieren, die sie sonst links liegen lassen.
„Propheten sind wir alle“ hat schon Peter Janssens in einem Lied geschrieben, und irgendwie gefällt mir dieser Satz. Sich engagieren für eine Sache, die wichtig ist, das sollte jeder. Egal was das für eine Sache ist. Meine ist eben die „Sache Jesus“. Die ist mir wichtig. Dafür setze ich mich ein. Und da ich schon die Möglichkeit habe, Musik zu machen und Lieder zu schreiben und mir das noch dazu richtig Spaß macht, so engagiere ich mich für diese Sache eben mit Musik und Liedern, mit NGL.

Apropos Peter Janssens, nicht unerwähnt sollte ich lassen, dass er es war, der mich maßgeblich beeinflusst hat. Nicht nur in der Art wie er Klavier spielte (mit dem Nachspielen seiner Partituren hab ich erst so richtig Klavier spielen gelernt) sondern wie er Lieder schrieb, wie er sie aufführte. Höhepunkt meines bisherigen Musikerlebens war wohl das gemeinsame Konzert mit Peter Janssens, als er seine Band zu Hause ließ und mit uns auftrat.
Und was bedeutet mir jetzt NGL? Zum einen die Möglichkeit mich selbst mit den Inhalten zu beschäftigen beim Schreiben eines Liedes, zum anderen andere zu beschäftigen beim Hören dieser Lieder, zum dritten das gute Gefühl, das beim gemeinsamen Musik-Machen mit Gleichgesinnten entsteht, und natürlich die Möglichkeit, Dinge ansprechen zu können. Ganz vor allem aber sehe ich NGL nicht als irgendetwas besonderes, ich ziehe keine klare Grenze zwischen Pop- und Rock-Songs aus dem Radio und NGL. Alles gehört zum Leben, alles ist Teil des Lebens und genauso wie ich Lieder im Radio höre und darüber nachdenke (Gut gemacht? Gut gedacht?), denke ich über NGL nach, wenn ich sie mache, wenn ich sie höre (Gut gemacht? Gut gedacht?).

Achja, und es ist schon ein besonderer Kick, nicht nur mit seiner Musik, sondern eben auch mit seinen Ideen, Gedanken und Texten vor Leuten zu stehen und sie hören einem zu. Und es ist immer noch schön, viele Zuhörer zu haben, auch wenn die anderen Musiker mittlerweile aus den Partykellern raus sind und Hochzeitsgesellschaften und Bierzelte unterhalten (und dabei mehr Zuhörer haben und mehr Geld verdienen). Aber ich weiß, dass viele von denen diesmal mir gegenüber neidisch sind, weil ich „mein Ding“ mache. Und das „mein Ding“ die „Sache Jesu“ ist und ich nach wie vor, nein eigentlich immer mehr davon „begeistert“ bin, spricht wohl für die Sache. Und wenn ich bei meinen Musik- und Chorseminaren nur ein bisschen von dieser Freude an der Sache rüberbringe, dass auch die wiederum ein bisschen davon an die Zuhörer weitergeben können, ja dann hat sich die ganze Sache ja gelohnt. Machen wir so weiter.
Und, letzter Satz und neues Thema, vergessen wir nicht, das NGL trotz des Wortes „geistlich“ in der Mitte bewusst die Form aktueller Musik (naja, ungefähr) und aktueller Sprache wählt, weil das NGL Teil des Lebens, Teil des Alltags, Teil des „normalen“ Musikhörens sein soll. Machen wir kein Kunstprodukt daraus sondern lassen es mitten im Alltag. Dort kann es wirken.

Und ich hab mich immer auch als Musiker gesehen, der genauso wie die Jugendhaus-Musiker ist, auch wenn die sich immer irgendwie abgrenzen wollten uns gegenüber. Wir sind Musiker, nur nehmen wir auch unser Leben ernst und den Glauben, der ein wichtiger Teil des Lebens ist.

Nachtrag: Eigentlich mache ich ja gar nicht bewusst NGL. Ich setze mich nicht hin und schreib ein „geistliches Lied“. Es ist nur das Thema, das mich beschäftigt. Und über das ich anderen erzählen will. Und das fällt mir mit einem Lied leichter.